Leseprobe Spiel, Satz und Mord

Die aufmüpfige Lady

„Was bitte schön soll das? Das kann jetzt aber nicht sein Ernst sein, oder?“ Bei jedem einzelnen Wort stach der perfekt manikürte Zeigefinger von Ilse von Karburg auf das wehrlose Stück Papier ein, das am schwarzen Brett des Tennisclubs angepinnt worden war.

„Wir bitten unsere Mitglieder, ab sofort wieder in angemessener Kleidung zum Spiel zu erscheinen. Die vorherrschende Farbe möge, der Geschichte unseres Sportes angemessen, erneut ein elegantes Weiß sein.“

„Elegantes Weiß, ich glaub es ja nicht. Spinnen die jetzt komplett? Freie Fahrt zurück ins Mittelalter.“ Ilse von Karburg, von Freunden liebevoll Lady Ilse genannt, war nachhaltig verstimmt. „In edlem Weiß lass ich mich vielleicht mal begraben, aber so geh ich nicht auf den Platz, jawoll!“

„Ilseschatz, du und dich in Weiß begraben lassen. Ich könnt ja schwören, dass du im Sarg einmal einen pinken Hosenanzug und eine silberne Glitzerbluse anhast.“ Tilde, Ilses langjährige Freundin, nippte mit einem unergründlichen Lächeln auf den Lippen an ihrem Prosecco, tupfte sich mit einer der weißen Stoffservietten den Mund ab und blickte sich suchend um. „Hat jemand Kamon gesehen? Ich hätte gerne noch so ein winziges Fläschchen.“

„Der Kellner ist drin und holt neue Tischtücher. Du weißt schon, die in edlem Weiß.“ Ilse setzte ihr Sektglas so heftig auf der Tischplatte ab, dass es klirrte.

Nun lachte Tilde wirklich. „Ach, komm schon, Lady Ilse, jetzt übertreib es doch nicht gar so. Ja, Heinz ist ein Spießer und noch einmal ja, er ist erzkonservativ, aber gib es zu, der Club läuft gut unter seiner Leitung. Darf ich dich außerdem daran erinnern, dass wir seit letztem Jahr Ehrenmitglieder sind und nur den Grundbetrag zahlen?“

Ilse ließ ein nicht sehr dezentes Hüsteln vernehmen. „Keine Bange, das habe ich nicht vergessen. Ich hab aber auch die zahlreichen Spenden nicht vergessen, die wir zu Franz-Josefs, der Herr hab ihn selig, Lebzeiten in den Club versenkt haben. Darum hält sich mein Kniefall aus reiner Dankbarkeit jetzt in Grenzen, allein schon wegen der dummen Arthrose. Außerdem brauchen wir dringend frisches Blut. Wir haben bald nur noch Senioren, also auf gut Deutsch, zu viele alte Leut. Das ist langsam beängstigend.“

„Alte Leute?“ Tilde musterte sie sichtlich amüsiert.

Ilse nahm ihr Glas auf, leerte es, seufzte genussvoll und wandte sich dann an sie. „Ja, das sagte ich. Irgendwelche Einwände oder sonstige seltsamen Randbemerkungen?“

„Schatzilein, du weißt aber schon noch, dass du letzte Woche deinen achtundsiebzigsten gefeiert hast – oder?“

Ilse schmunzelte. „Fünfundsiebzig c, wenn ich bitten darf, soviel Zeit wird ja wohl noch sein. Und wenn schon? Deshalb muss ich noch lange nicht alt sein. Jetzt mal ernsthaft, Mausilein, ich spiele zweimal die Woche ein Doppel und unser Marcus ist bei meinen Einzelstunden ganz schön außer Puste, der ist gerade mal zweiunddreißig Jahre alt. Wenn es ginge, und zeitlich passen tät, dann würd ich sogar noch mehr spielen, so!“

Tilde hob elegant die rechte Augenbraue. „Das könntest du, liebste Lady, Klaus-Peter würde so gerne wieder mit dir im Doppel spielen. Du weißt, dass er dich anbetet?“

„Klaus-Peter? Oida! Ja, bist du denn narrisch?“ In solchen Momenten brach die Österreicherin aus ihr heraus und zwar volle Breitseite. „Geh mir heim. Der hat beim letzten Spiel dermaßen geröchelt, dass ich schon befürchtet hab, die letzte Ölung gleich auf dem Platz vornehmen zu müssen. Nichts da. Ich brauch jemanden, der jung und fit ist.“

„Klaus-Peter ist zweiundsechzig Jahre alt, meine Liebe. Also ist er ziemlich genau …“ Tilde kam nicht dazu, den Satz zu vollenden.

„Der ist alt im Kopf und in den Gelenken, basta. Des is koa Junga, des is a Oida!“ Ilse musste lachen. „Da haben wir es schon wieder. Kaum reg ich mich auf, verabschiedet sich mein elegantes Hochdeutsch.“

„Elegantes Hochdeutsch? Süße, ich hab dich echt gern, aber davon ist selten was zu hören.“ Tilde tätschelte ihr liebevoll die Hand. „Ich bin ja nun mal auch schon siebzig und ich steh dazu. Vertrau mir, ich würde die Zeit auch oft gerne zurückdrehen.“

Sofort schaltete Ilse zwei Gänge zurück. Sie wusste sehr wohl, dass Tilde, die erst vor zwei Jahren ihren Mann, den begnadeten Herzchirurgen Klaus Berger verloren hatte, deshalb ab und an noch mit dem Witwendasein haderte. Noch dazu, da Klaus nicht nur ein erfolgreicher, sondern auch noch höchst attraktiver Mann gewesen war. Allerdings versüßte das zweistellige Millionenvermögen, mit dem er seine Angetraute zurückgelassen hatte, selbiger ihr Schicksal nicht unerheblich.

„Liebes, alles ist gut. Solange du, Marga und ich einander haben, brauchen wir keinen Mann an unserer Seite, stimmt‘s? Ich bin immer für dich da. Das mit dem Zurückdrehen, das kommt uns sicherlich allen ab und an in den Sinn. Ich vermiss Franz-Josef auch, sehr sogar. Aber du erinnerst dich an seine letzten Worte an mich?“ Ilse musterte die Freundin aufmerksam.

Die nickte mit leisem Seufzen. „Natürlich: Leb du mir ja fröhlich weiter und genieß dein Leben, sonst verfolge ich dich als Geist bis zu deinem Lebensende.“

Ilse nickte nachdrücklich. „Siehst du! Und ich würd mich ja Sünden fürchten, den letzten Willen eines Dahingeschiedenen nicht zu respektieren.“

Schon konnte Tilde wieder lachen. Sie strich sich die silbergrauen Haare zurück, die der Wind ihr aus ihrer schönen Bobfrisur ins Gesicht gepustet hatte, und musterte Ilse kopfschüttelnd. „Du bist mir so eine Marke, was mach ich nur mit dir? Dir kann man gar nicht böse sein.“

Ilse griff nach der fast leeren Pikkoloflasche mit edlem Sekt. „Tja, so ist das halt. Mich kennen, heißt, mich lieben.“

Eine Stunde und eine Flasche stilles Mineralwasser später stöckelte Ilse entschlossen zu ihrem knallrosa VW-Beetle Cabrio und glitt höchst elegant in den Sitz. Kurz kontrollierte sie im Rückspiegel den Sitz ihrer hellblond gefärbten Igelfrisur und warf sich selbst ein Küsschen zu. „Guad schaugst aus, altes Haus!“ Mit entschlossenem Blick startete sie den Motor. Erneut betrachtete sie sich nachdenklich im Spiegel. „Wir gehen jetzt shoppen, aber so richtig. Dem werde ich was husten von wegen edles Weiß. Nicht mit mir!“

„Frau von Karburg, führen Sie heute Selbstgespräche?“

Sie war so auf sich selbst konzentriert gewesen, dass sie Marcus, ihren bezaubernden Trainer, gar nicht bemerkt hatte. Sie strahlte ihn zufrieden an. „Ja, sicher, weißt du, Marcus, ab und an muss ich mit einem vernünftigen, logisch denkenden Menschen sprechen, sonst wird man ja deppert in dieser Welt.“

Auf dem kantigen Gesicht des sportlichen Tennistrainers erschien ein breites Grinsen. „Das verstehe ich nur allzu gut. Dann noch eine zielführende Unterhaltung und einen schönen Abend, Frau von Karburg.“

Sie nickte zustimmend, winkte ihm freundlich zu und fuhr in gewohnt schneidigem Tempo vom mit grünen Hecken eingefassten Parkplatz des Clubs hinaus auf die zu dieser nachmittäglichen Zeit nicht allzu dicht befahrene Landstraße.

„Margot, den Rock da, bitte. Den mit dem Herz an der Seite.“ Mit Nachdruck deutete Ilse auf das entzückende Röckchen in knallrosa, an dessen rechter Seite ein glitzerndes Herz aus Strasssteinen prangte.

„Frau von Karburg, der steht Ihnen sicher richtig gut, aber nur zur Erinnerung, Herr Felsner hat als neue Vorgabe Weiß ausgegeben. Nur falls Sie das noch nicht wissen.“ Margot hielt ihr zögerlich das Kleidungsstück entgegen.

Ilse lächelte nachsichtig. „Liebste Margot, aber sicher weiß ich das und genauso sicher werde ich es ignorieren. Das wissen bei uns alle. Steht ja in Riesenlettern am Schwarzen Brett.“ Sie griff nach dem Rock und betrachtete ihn eingehend. „Und wissen Sie, liebe Margot, so ab einem gewissen Alter ist das oft sehr seltsam. Man liest was, liest es nochmal, dreht sich um, geht zwei Schritte und – zack – weg ist es. Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr an den Aushang erinnern, so gerne ich das auch möchte.“ Sie drehte sich schwungvoll um und zog den Vorhang der Umkleidekabine hinter sich zu. Draußen vernahm sie das leise Kichern ihrer langjährigen Sportartikel-Fachverkäuferin.

Ilse schlüpfte behände in den kurzen Rock, knöpfte die zwei silbernen Knöpfe an der Seite zu, strich das Ganze glatt und stellte sich in der gut ausgeleuchteten Kabine vor den Spiegel. Da stand sie nun, Ilse von Karburg, Witwe des angesehenen „Stahlkönigs“ Franz-Josef von Karburg, seit einer Woche achtundsiebzig Jahre alt und recht unglücklich mit dieser Zahl. Sie war immer sportlich gewesen und legte noch heute großen Wert darauf. Obwohl sie mit ihren ein Meter siebzig Körpergröße nicht gerade klein war, hatte Franz-Josef sie um einen ganzen Kopf überragt. Perfekt, um die gewagtesten High Heels aller Zeiten zu tragen. Das ging heute nicht mehr. Die Arthrose schlug immer mal wieder zu, aber noch kämpfte Ilse vehement dagegen an.

Sie drehte sich nach links und musterte sich mit kritischem Blick von der Seite. Ein winziger Bauchansatz, ansonsten schlank und durchtrainiert. Der viele Sport zahlte sich aus, ebenso die Besuche bei Lieblingsheilpraktikerin Sabine, die alles daransetzte, sie fit und gesund zu halten, und das mit ansehnlichem Erfolg. Liebevoll streichelte Ilse das Strassherz. Ihr war schon bewusst, dass es genug Leute gab, die ihren Kleidungsstil als unangepasst bezeichneten. Dass sie ihr damit ein Kompliment machten, verstanden diese verknöcherten Spießer leider nicht. Ja, sie trug enge Jeans, bunte Turnschuhe, ebenso bunte Shirts und Blüschen. Natürlich konnte sie auch richtig edel, aber eben alles zu seiner Zeit. Sie hatte ihr Leben immer selbst in die Hand genommen und alles gemeistert, jedes Problem gelöst, das sich ihr in den Weg gestellt hatte. Franz-Josef war nicht von allein dahingekommen, wo er letztendlich gewesen war: an der Spitze der Industriebarone Bayerns. Kaum jemand neidete ihr das, was sie heute besaß. Wer sie kannte, der wusste, dass sie sich das alles redlich verdient hatte. So ganz nebenbei half sie auch noch, wo immer sie konnte, und das rechnete man ihr hoch an. Was aber alles nichts an der Tatsache änderte, dass sich ihr Kopf weigerte, ihr Alter zu akzeptieren.

Dunnerlittchen, sie war nicht alt, das konnte überhaupt nicht sein. Wo waren sie nur hingekommen, all die Jahre, all die Pläne, die sie noch hatte? Verflixt, sie war im Kopf sicherlich kaum älter als … na, sagen wir achtundzwanzig, von wegen Alzheimer und so. Eine schöne und amüsante Ausrede, wenn sie sich an etwas schlicht nicht erinnern wollte, aber eigentlich erinnerte sie sich an alles. An das Gute und das weniger Gute, denn das Wort „schlecht“ kam in ihrem Wortschatz kaum vor. Das half dabei, dass der Geist jung blieb.

Erneut drehte sie sich, sodass der schön geschnittene Rock um ihre schlanken Beine schwang. Nun musste es ihr nur noch gelingen, ihren Körper davon zu überzeugen, dass sie noch so grob dreißig Jahre leben musste, um alles das zu tun, was ihr vorschwebte. Und das war eine ganze Menge!

Ilse legte den Kopf leicht schief und warf ihrem Spiegelbild ein aufmunterndes Lächeln zu. „Wir schaffen das miteinander, aber mitmachen musst schon, sonst wird das nix.“

Sie begutachtete eingehend die drei Poloshirts, die Margot ihr in die Kabine gereicht hatte. Unwillig stellte sie fest, dass das weiße mit dem hübschen Emblem vorn rechts am besten zu dem rosa Rock passte. Na ja, ein winziges Zugeständnis an ihren spießigen Clubchef. Aber da fehlte noch etwas. Mit breitem Lächeln zog sie den Vorhang zurück.

„Margot, die pinkfarbigen Chucks mit den silbernen Nieten drauf, sind die in meiner Größe da?“

Konfrontation hält jung

Marga stellte schnaufend die Einkaufstasche auf Ilses langgezogener Küchentheke ab. „Schau, meine Liebe, alles ganz frisch. Die Eier sind vom Richard, der Lauch und die Zwiebeln vom Schwarzberger und das Obst vom Bauern Herzig. Frischer geht’s nimmer.“

Ilse griff mit stoischer Miene nach der Eierschachtel. „Die Eier vom Richard faszinieren mich gerade besonders, wie hast ihm die denn abgeschwatzt?“

Marga begriff nicht sofort. „Wie …? Ach, Ilse, du und deine schrägen Witze. Der Richard hat seine Eier schon noch, keine Sorge.“ Sie schüttelte mit ernster Miene den Kopf. „Ein wenig mehr Ernst, liebe Lady. Es geht hier um deine Gesundheit.“

„Ich dachte, es geht um Richards Eier?“

„Ilse!“

„Verzeih, aber die Steilvorlage kam jetzt wirklich von dir selbst. Nein, alles prima. Ich freu mich sehr über die frischen Sachen. Das Glump aus dem Supermarkt kannst ja nicht mehr essen. Das schmeckt alles nach Wasser. Null Vitamine. Magst du zum Essen hierbleiben?“

Marga schien kurz zu überlegen, nickte dann jedoch zustimmend. „Sehr gerne sogar. Aber nur, wenn ich beim Kochen helfen darf.“

Ilse, die nur allzu gut wusste, dass die routinierte, erfindungsreiche Marga ein Ass in der Küche war, ließ sich das nicht zweimal sagen. „Eh ich mich schlagen lasse, darfst du mir helfen.“

Marga grinste und umrundete die Theke in Richtung der riesigen, marmornen Arbeitsfläche in Ilses eindrucksvoller Küche. „Das ist ganz bezaubernd, dass ich helfen darf.“

Während die beiden den frischen Lauch in feine Streifen schnitten, junge Kartoffeln schälten und eine saftige Gemüsezwiebel meuchelten, wurden die diversen Geschehnisse der vergangenen Woche besprochen.

Marga stellte einen Suppentopf auf den Gasherd, gab ein ansehnliches Stück Butter hinein und ließ die Gasflamme auffauchen. „Hast du gehört, dass die Zugehfrau der Felsners mitbekommen haben will, dass Heinz und Caroline sich gestritten haben wie die Kesselflicker?“

Ilse nickte grübelnd. „Ja, hab ich. Was mir eher zu denken gibt, ist, dass sie auch gesagt hat, sie hätte ein Klatschen gehört und einen wütenden Schrei von Caroline. Jetzt heißt es, er habe sie geschlagen, und man munkelt, es sei nicht das erste Mal gewesen.“

Marga zog eine große Haarklammer aus der am Boden stehenden Umhängetasche, zwirbelte ihre widerspenstige, schulterlange rote Lockenmähne zu einem dicken Strang und bändigte diesen mit der Klammer. „So. Nicht, dass wir dann noch ein Haar in der Suppe haben.“

Ilse runzelte die Stirn. „Finden wir nicht immer ein Haar in der Suppe?“

Marga kicherte. „Meistens.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und begutachtete schweigend Ilses Seitenansicht. Als diese die eingehende Musterung bemerkte, reichte sie der Freundin den Teller mit den fein geschnittenen Zwiebeln. „Ist was? Hab ich neue Falten bekommen oder warum schaust du mich so prüfend an?“

Marga rümpfte die Nase. „Du bist zu dünn. Mensch, Lady Ilse, du weißt doch, dass ab einem gewissen Alter ein Stück Torte das beste Anti-Aging-Mittel ist.“

„Das musst du mir jetzt aber bitte erklären.“

Marga, mit ihren zweiundsiebzig Jahren den Hauch jünger als sie selbst, seufzte lautstark. „Ilsehase, unserer Haut mangelt es ab einem gewissen Alter an Spannkraft, das kann man ausgleichen. Ein bisserl Fett und Zucker schadet da gar nichts. Ich bewundere dich für deine Disziplin, aber magst du dir nicht ab und an auch mal eine kleine Sünde gönnen? Ich hätte gerade so eine schöne Nusstorte im Angebot.“

Tapfer schüttelte sie den Kopf. „Danke für das Angebot, aber danke nein. Zucker ist für meine Knochen nicht gut. Auch wenn ich zugebe, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn ich an deine Torten denke.“

Marga, die gerade die klein geschnittenen Kartoffeln in den Topf kippte und mit Gemüsebrühe aufgoss, nickte nachsichtig. „Dachte ich mir fast schon, aber es hätte ja sein können.“ Während sie prüfend in den Topf blickte, fiel ihr wohl das zuvor geführte Gespräch wieder ein. „Um auf unseren Heinz zurückzukommen. Die Physiotherapeutin im Club hat mir erzählt, dass er den Doktor Pohl verklagt hat.“

Das war Ilse neu. „Wieso das denn? Der Pohl ist so ein netter, ruhiger Mensch. Warum sollte man den denn verklagen? Der hat mir mein Knie mit den Hyaluronspritzen wieder richtig gut in Schuss gebracht.“

Der Lauch wurde in dem Topf versenkt und kräftig untergerührt. Dann schaltete Marga die Flamme auf klein. „Das muss jetzt köcheln. Also, der Pohl hat angeblich bei Caroline gepfuscht. Sie hat sich am Ar…, entschuldige, am Hintern Fett absaugen lassen, das wiederum hat sie sich dann, wenn ich das richtig verstanden habe, in die Backen spritzen lassen, also in die im Gesicht, du verstehst? Danach wollte sie sich das Fett noch in die Lippen spritzen lassen. Das hat der Doktor Pohl verweigert, weil er damit keine Erfahrung hat. Dann hat sie aber eine dermaßen heftige Szene hingelegt, dass er sich bereit erklärt hat, ihr Hyaluron in die Lippen zu spritzen, da sich das wieder von selbst langsam abbauen würde. Das hat er wohl schon oft gemacht. Sie wiederum, da sie wie so oft den Kragen, beziehungsweise hier die Lippen, nicht voll bekommen konnte, hat ihn mehr oder weniger gezwungen, ihr die doppelte Menge von dem, was er ihr ursprünglich spritzen wollte, zu verabreichen. Du weißt ja, wie hysterisch die Gute werden kann. Dem Pohl war das letztendlich wohl zu blöd und er hat getan, was sie wollte. Tja, nun sieht die Beste angeblich aus wie Daisy Duck für Arme.“

Ilse konnte nicht anders, sie musste lauthals lachen. „Ich weiß, man soll sich nicht über derart Verunfallte lustig machen, aber hier geht’s nicht anders. Das ist so typisch für beide Felsners. Den eigenen Willen auf Biegen und Brechen durchsetzen und dann den anderen die Schuld geben. Also ernsthaft, wenn die den Doktor verklagen, ich sag sofort für ihn aus. Der ist ein seriöser und guter Arzt. Er hat immer Wert darauf gelegt, alles, was er tut, verständlich zu erklären, und wenn ich alte Kuh das verstanden habe, dann sollte Caroline auch verstehen, dass ein halbes Pfund Hyaluron in den Lippen durchaus etwas auftragen kann.“

Marga, einen halben Kopf kleiner, aber dafür fast doppelt so breit wie Ilse, stellte sich auf die Zehenspitzen, um richtig in den Topf sehen zu können. „Vor allem kann das richtig übel für den Doktor ausgehen, so ein Ruf in der Schönheitschirurgie ist schnell ruiniert. Und ich muss dir zustimmen, das hätte er nicht verdient. Gibst du mir bitte mal die Sahne rüber?“

„Sahne?“ Ilse runzelte anklagend die Stirn.

„Herrschaftszeiten, jetzt stell dich nicht so an. Fett ist Geschmacksträger. Wenn du willst, dass die Suppe nach was schmeckt, dann muss da Sahne dran zum Binden.“ Auffordernd streckte Marga ihr die Hand entgegen.

Lächelnd reichte Ilse ihr das Gewünschte. „Ich wollt dich bloß ein bisserl ärgern. Das mit der Sahne musst du mir als Österreicherin nicht erklären.“

Sie beobachtete die Freundin aufmerksam dabei, wie diese der Kartoffel-Lauch-Suppe den letzten Schliff verlieh. Marga war, ebenso wie sie und Freundin Tilde, Witwe. Die Dachdeckerfirma Hans Menzings war eine wahre Goldgrube gewesen und der Spruch, Handwerk habe goldenen Boden, bewahrheitete sich hier voll und ganz. Marga war stets an Hans‘ Seite gewesen, Tag für Tag war das Vermögen gewachsen und in gleichem Maß die unerschütterliche Liebe der beiden. Marga war kompetent und zuverlässig, sie liebte es, zu kochen und zu backen, und mochte Hans ihr auch bei seinem tragischen Unfalltod ein Millionenvermögen hinterlassen haben, so hätte man das bei der immer freundlichen, hilfsbereiten Frau nie vermutet. Aber stille Wasser sind ja bekanntlich tief.

Nur Ilse, der Marga nach Franz-Josefs Tod eine unerschütterliche Stütze gewesen war, wusste von dem zehn Jahre jüngeren, stolzen Italiener, den Marga vor einem Jahr auf einer Reise in die Toskana kennengelernt hatte. Und sie gönnte der Freundin diese Liebe von ganzem Herzen.

„Fertig, liebste Lady, wenn du den Tisch deckst, dann können wir essen. Ich schneid noch das Baguette auf, das ist ganz frisch. Das ist auch vom Richard … allerdings ganz ohne seine Eier.“

Marga blieb bis kurz vor Mitternacht und es war ein ausgesprochen kurzweiliger Abend gewesen. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag zum „gemischten Doppel“ wobei das mit dem „gemischt“ etwas ambitioniert ausgedrückt war. Das Einzige, das hier mischte, war der gute Marcus, der stets der Vierte im Bunde war.

Als Ilse am folgenden Tag auf den Parkplatz der weitläufigen Clubanlage einbog, sah sie den Mercedes von Tilde und den Opel Crossland Margas schon dort stehen. Hoppla, sollte sie heute die Letzte sein? Das ging nun gar nicht. Eilig und ein klein wenig gewagt flitzte sie mit ihrem Schnucki in die Parklücke zwischen den Autos der Freundinnen. Dass sie ihr Cabriolet Schnucki getauft hatte, hatte zu Anfang für großes Gelächter gesorgt. Mittlerweile war Schnucki Familienmitglied und vollumfänglich in der Porsche-, Mercedes- und BMW-geschwängerten Umgebung anerkannt. Im Gegenteil, ab und an glaubte Ilse zu spüren, dass man sie heiß um Schnucki beneidete. Er war aber auch ein Hübscherchen mit seinen knallrosa Flanken und den silbernen Beschlägen.

Grinsend klopfte sie auf das Lenkrad. „Wir zwei sind schon ein ganz besonderes Duo, was, Schnucki?“ Sie schnappte sich die Tennistasche vom Rücksitz und lief über die breite Freitreppe vor dem altehrwürdigen und perfekt renovierten Clubgebäude ins Innere des eindrucksvollen 30er-Jahre-Bauwerkes.

Die Rezeptionistin Marlene begrüßte sie freundlich wie immer. „Frau von Karburg, die beiden anderen Damen erwarten Sie bereits auf der Terrasse. Viel Spaß wünsche ich Ihnen, das Wetter passt wieder einmal perfekt.“

Ilse winkte ihr huldvoll zu. „Danke, Marlene. Sie wissen doch, Engel und so.“

Marlene schmunzelte. „Ja, ich weiß.“

Um auf die große Terrasse des Clubs zu gelangen, musste sie durch zwei Glastüren, von denen eine offenstand, die zweite jedoch geschlossen war. Gerade streckte Ilse ihre Hand nach dem goldfarbigen Türgriff aus, als von der anderen Seite jemand im Laufschritt ankam und die Tür ungestüm aufriss.

Ilse kam ein klein wenig ins Schwanken. „Hoppala, Herr Doktor, was sind wir aber heute schwungvoll.“

Doktor Pohl griff sofort nach ihrem Arm. Sein schuldbewusster Blick stimmte sie umgehend milde.

„O Gott, Frau von Karburg, bitte verzeihen Sie. Ich war ganz in Gedanken. Habe ich Ihnen weh getan?“ Vorsichtig umfasste er Ilses Unterarm.

Die verneinte sofort. „Alles in Ordnung. Ich möchte nicht wissen, was das für Gedanken sind, wenn Sie sich so echauffieren müssen. Kann man Ihnen irgendwie helfen?“

Mit sichtlichem Bedauern schüttelte der Doktor den Kopf und schob sich seine randlose Nickelbrille zurecht. „Lieb gemeint, aber da muss ich jetzt selbst erst einmal alles auf die Reihe bekommen.“

Ilse tätschelte freundlich seinen Arm. „Im Notfall, Sie wissen ja: Nicht verzagen, Ilse fragen. Bist dennoch du verzagt, hast du Ilse nicht gefragt.“

Nun lachte Doktor Pohl. „Danke, liebe Frau von Karburg. Ich komme darauf zurück, versprochen. Aber jetzt muss ich los, da warten ein paar zufriedene Patienten und ich möchte, dass das so bleibt.“

Aha, daher wehte der Wind. Ilse hatte den dezenten Hinweis sofort verstanden und verabschiedete sich ausnehmend freundlich von ihm. Mit sorgenvoll gerunzelter Stirn sah sie ihm hinterher, als er über die Treppe zum Parkplatz lief. Die Anschuldigungen gingen ihm offenbar nahe. Grübelnd machte sie sich auf den Weg zu den Freundinnen.

„Ihr hättet ihn sehen sollen. Ganz aufgewühlt war er. So kenne ich ihn gar nicht. Er ist sonst immer die Ruhe in Person, was auch immer der alte Motzkopf und seine Trulla ihm vorwerfen, trifft ihn wirklich sehr. Das ist eine Schande, echt wahr.“ Ärgerlich trank Ilse einen Schluck des köstlichen, kühlen Hugo, den der reizende Barkeeper Kamon mit leckerer frischer Minze und gutem, teurem Holundersirup mixte. „Da passiert noch was, das hab ich im Gefühl.“

Tilde setzte ihre Coco-Chanel-Sonnenbrille ab und musterte sie fragend. „Wie meinst du das? Die werden sich, wenn der Felsner nicht doch noch einen Rückzieher macht, vor Gericht sehen, was soll sonst passieren?“

„Hm, was passieren könnte, ist, dass der Felsner mit seiner Sturheit die gepimpten Schlauchlippen seiner holden Angetrauten in die Öffentlichkeit zieht. Und ob er das wirklich will, da bin ich mir nicht so sicher.“ Marga sah das Ganze wieder einmal höchst rational.

Ilse konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. „Gut gesprochen, meine Liebe. Könnte von mir sein.“ Ihr Blick fiel auf die Uhr an der Wand. „Mädels, sollten wir dann nicht einmal los? Oder ist Marcus noch gar nicht da?“

Tilde blickte sich suchend um. „Eigentlich schon, aber bis der von Clarissa loskommt, das könnte dauern. Der Mann ist einfach zu höflich für diese Welt.“

„Egal, dann gehen wir auf den Platz und wärmen uns einfach einmal auf.“ Ilse stand auf, reckte sich etwas, wobei die linke Schulter verdächtig knackte. „Leute, ich kann euch sagen. Ich werd von Woche zu Woche knackiger.“ Seufzend schulterte sie ihre Tennistasche und wollte gerade auf die wenigen Stufen zugehen, die von der Terrasse hinab in die Anlage führten, als ein nicht eben glücklich aussehender Heinz Felsner die Szene betrat. Sein Blick fiel auf sie und sein Gesichtsausdruck veränderte sich erneut. Von unglücklich zu ärgerlich. Ilse rüstete sich und straffte die Schultern, dieses Mal ohne Knacken.

„Meine Damen, Frau von Karburg, wie ich sehe, bereiten Sie sich auf das wöchentliche Doppel vor.“ Er stockte und krempelte sich den rechten Ärmel seines hellblauen Designerhemdes nach oben.

Fast schien es Ilse, als suche er nach den richtigen Worten. Auf seiner Stirn zeigte sich eine steile Falte, die sich zunehmend zwischen seine Brauen grub. Fasziniert betrachtete Ilse, wie sich ein Schweißtropfen von der Stirn in Richtung Nasenwurzel bewegte.

„Ich sehe auch, dass offenbar eine von Ihnen die Ankündigung am Schwarzen Brett nicht gelesen hat. Ich bat darum, dass wir, der Geschichte dieses Clubs entsprechend, uns wieder in edles Weiß kleiden. Darf ich höflichst darauf hinweisen, dass dies die Zustimmung der meisten Clubmitglieder gefunden hat? Bitte, Frau von Karburg, mir ist bewusst, dass Sie, wie sage ich es nur, fröhliche Farben präferieren. Hier aber wäre ich sehr dankbar, wenn auch Sie sich die neue Regelung zu Herzen nähmen.“

Ilse räusperte sich mit sittsam gesenktem Blick, ehe sie zu ihrer Antwort ansetzte. „Liebster Herr Felsner, durchaus habe ich von der Ankündigung der Verbannung bunter Farben Kenntnis genommen. Ebenso darf ich bestätigen, dass ich wirklich sehr gerne, wie Sie es so freundlich nannten, fröhliche Farben trage. Wissen Sie auch warum? Weil das Leben in so vielen Teilen grau genug ist, weil Farben guttun, weil Fröhlichkeit gefördert werden sollte. Positiv denken, fortschrittlich sein und nicht mit Anlauf zurück ins Mittelalter. Wofür hat denn ein Agassi gekämpft? Also ehrlich, mein dezentes Rosé ist ja nun wahrlich höchst zurückhaltend gewählt. Und wie Sie sehen, lag es mir ausnehmend am Herzen, Sie zu erfreuen, und so habe ich noch gestern dieses, so ganz nebenbei sauteure, Poloshirt erstanden. Da schauen Sie, gell? Alles nur, um Sie nicht zu verärgern. Als eines der langjährigsten Mitglieder dieses Etablissements möchte ich natürlich allen Anordnungen Folge leisten.“ Sie spähte neugierig an dem langsam immer blasser werdenden Clubchef vorbei und entdeckte Marcus, der, den Schläger geschickt jonglierend, zum Platz strebte. „Ich würd so gerne noch mit Ihnen plaudern, wirklich, aber ich sehe unseren Trainer und den wollen wir doch nicht warten lassen, nicht wahr. Ich bin dann mal weg.“ Lächelnd und winkend eilte Ilse hinter Marga her, die bereits vorausging.

Ihr war durchaus bewusst, dass hinter ihr ein heftig atmender und schlicht sprachloser Felsner zurückblieb.

Neben Marga angekommen hörte sie deren amüsiertes Glucksen.

„Dezentes Rosé? Echt jetzt? Ilsehase, das ist knallpink und dass unser Heinz gerade haarscharf an einem Herzinfarkt entlangschrammt, dürfte dir auch nicht entgangen sein, hab ich recht?“

Ilse lächelte nachsichtig. „Ich fördere lediglich seine Herztätigkeit, das muss ab und an ein bisserl gepushed werden, weißt du?“ Sie betrat neben Marga den Platz und schloss die grüne Tür hinter sich. „Außerdem war der eh auf hundertachtzig, schon als er rauskam. Seit wann klebt unserem Heinzi das Hemd klatschnass am Körper? Das war nicht nur meine Wenigkeit, die ihn so aufregt, da stimmt was nicht!“

Die beiden Damen schlossen zu Tilde und Marcus auf und bereiteten sich auf das Match vor.

Ilse gelang es nur leider nicht, ihre Neugierde zu zügeln. Während sie die Seiten ihres Schlägers zurecht zog, wandte sie sich mit unschuldigem Blick an Marcus. „Eine Frage im Vertrauen, weil ich mir Sorgen mache. Ist unser Heinzi krank, hat er eine Schilddrüsenüberfunktion oder so etwas? Er ist ausnehmend leicht reizbar.“

Marcus schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich denke, es ist nichts mit irgendeiner seiner Drüsen. Da der Raum, in welchem ich nun mal arbeite, direkt neben seinem Büro liegt, bekomme ich auch viel mit. Gestern hat er sich mit Caroline gestritten, und zwar so laut, dass ich fast alles verstanden hab. Es ging um irgendwelche Spritzen und um seine Beziehung zu seinen Kindern. Ich konnte leider nicht alles verstehen, darum halt ich mich aus Spekulationen raus, das verstehen Sie sicher. Heute war der arme Doktor Pohl dann dran. Aber, bitte nicht böse sein, auch hier möchte ich nichts weiter dazu sagen, nur, dass das zu eskalieren scheint.“ Marcus zog eine traurige Grimasse. „Etwas, das mich traurig macht, denn ich kenne den Pohl seit Jahren und er ist ein richtig Guter. So, und jetzt wird gespielt!“

Ilse war zwar mit der vagen Aussage nicht ganz zufrieden, verstand aber auch, dass sich Marcus nicht in Spekulationen versteigen wollte. Schließlich war er auf die Stelle hier im Club angewiesen. So absolvierte sie an seiner Seite ein fulminantes Doppel und zumindest für eine Weile war die Welt wieder in Ordnung.

„Das hat Spaß gemacht, mit tut zwar der Arm weh, aber eine schöne Ibuprofentablette bringt das zügig wieder in Ordnung.“ Ilse massierte sich mit leicht schmerzvoller Miene ihre rechte Schulter.
Marga runzelte anklagend die Stirn. „Du solltest endlich einmal zum Röntgen gehen, die dauernden Tabletten machen deinen Magen kaputt.“

Ilse zuckte die Schultern, was noch immer weh tat. „Mach ich, versprochen, aber jetzt hol ich mir eine Tablette bei unserer Marlene und wechsle das Shirt. Bis gleich.“

Auf Marlenes besorgten Blick hin erläuterte sie auch ihr, dass sie sich baldmöglichst um ihre bröselnden Knochen kümmern würde, bedankte sich für die Tablette und strebte den Umkleideräumen entgegen, um rasch zu duschen und in ihr neues hübsches Glitzershirt samt weißer Hose zu schlüpfen. Sie hatte sich gerade das Shirt über den Kopf gezogen und wollte sich durch die Haare wuscheln, als sie vom Flur aufgeregte Stimmen vernahm.

„Du bist verrückt geworden, wirklich. Das ist Wahnsinn, was du vorhast. Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Hast du nichts dazu gelernt?“ Die Stimme kam Ilse vage bekannt vor. Diejenige, die darauf antwortete hingegen, die kannte sie zur Genüge.

„Du hast ja keine Ahnung, was ich in den Jahren alles gelernt habe. Halt dich da raus, das geht nur mich etwas an und auch meine Entscheidungen muss ich vor niemandem rechtfertigen.“ Heinz Felsner zischte diese Worte regelrecht.

„Raushalten! Du bist dermaßen selbstherrlich. Du hast damals schon nie an die Konsequenzen gedacht. Muss ich dich daran erinnern, dass am Ende zwei Menschen gestorben sind, oder hast du das verdrängt?“

„Wie könnte ich? Und hör auf, mir das vorzuwerfen, das war nicht nur meine Schuld, verdammt nochmal! Ich mache in diesem Moment sicher keinen Fehler. Im Gegenteil, ich versuche, etwas richtig zu machen.“

„Richtig? Hast du dabei einmal an Severin gedacht?“

Felsner schnaubte so laut und ärgerlich auf, dass Ilse es durch die geschlossene Tür hören konnte. „Dieser geldgierige und unfähige Junge hat von Arbeit keine Ahnung und von Familie schon gar nicht. Nie ein Dank, nie der Versuch zu verstehen. Glaub mir, ich denke viel zu oft an ihn.“

„Trotzdem machst du einen fatalen Fehler. Du solltest mir vertrauen. Das wird nach hinten losgehen, darauf könnte ich wetten.“

„Im Wetten warst du schon damals eine Niete. Darf ich dich daran erinnern, wer deine Schulden bezahlt hat, um einen passablen Leumund zu garantieren? Also tu jetzt einfach, was ich sage, oder muss ich die alten Schuldscheine herauskramen und damit vor deiner Nase herumwedeln?“ Felsner klang recht entschlossen.

Eine Weile hörte Ilse nichts mehr und dann kam die Antwort so leise, dass sie Mühe hatte zu verstehen. „Gut, ich tue es. Aber es wäre nicht nötig gewesen, die alten Wunden aufzureißen, das ist deiner nicht würdig.“

„Ach, aber du darfst die uralten Geschichten aufkochen und versuchen, mich mit einer pseudomoralischen Einstellung zum Einlenken zu bewegen? Mann, du solltest mich besser kennen.“ Danach entfernten sich die Schritte beider Männer.
Herrschaftszeiten! Was kam denn noch alles? Ilse zog sich eiliger um als geplant und eilte strammen Schrittes auf die Terrasse, wo Marga und Tilde sie bereits samt dem für sie bestimmten frischen Fruchtcocktail erwarteten.

„Mädels, ich muss euch was erzählen. Das glaubt ihr nicht.“

Tilde kratzte sich grübelnd an der hübschen Nase, nachdem Ilse geendet hatte. „Unser Heinz scheint eine turbulente Vergangenheit zu haben. Wenn in der Geschichte gar Tote vorkommen, dann ist das nichts, was man einfach so als normal abtun könnte. Aber wir dürfen uns kein Urteil erlauben, denn, seien wir ehrlich, viel wissen wir nicht.“

Ilse nippte angespannt an ihrem Drink. „Vor allem würde mich interessieren, wie sein Sohn Severin da mit hineinpasst. Die haben doch kaum Kontakt, was mich allerdings nach seiner Äußerung über den Kerl nicht mehr wundert. Ich hab ihn immer als recht freundlich und nett empfunden.“

Marga rümpfte die Nase. „Freundlich sein ist einfach. Aber wenn’s stimmt und er arbeitsscheu ist? Wissen wir das denn?“

„Yessas, der Felsner hat da mehr Baustellen in seinem Leben, als wir gedacht haben. Stimmt schon, dass wir nur an der Oberfläche rumstochern, aber, dass da was darunter faul ist, das sollte uns allen klar sein, oder?“ Ilse sah das total nüchtern.

Während die drei Damen noch darüber spekulierten, was sich hinter den mysteriösen Aussagen verbergen könnte, entdeckten sie am Hauptausgang Lucas Meric, Felsners Steuerberater, der ins Freie kam, stehen blieb, offenbar tief durchatmete, um sich dann eine Zigarette anzuzünden.

„Da schau her, der Lucas, sein Steuerfuzzi. Ich hab mir noch gedacht, dass ich die Stimme von irgendwoher kenne. Es geht also um Geld, denke ich wenigstens. Ob Heinz seinen Sohn enterben will? Das würd ins Bild passen, aber warum jetzt? Ob da was passiert ist?“

Tilde zuckte die Schultern. „Keine Ahnung und, ehrlich gesagt, ist es mir auch egal. So nahe stehen mir weder Heinz noch dessen Sprössling. Hat er nicht auch noch eine Tochter? Vielleicht ist die ja Papas Liebling und die Kinder kloppen sich um das nicht zu verachtende Erbe? Wobei ich es nicht so ganz verstehe, denn unser Clubchef ist ja noch nicht so alt, als dass er unbedingt seine Dinge regeln müsste. Sehr seltsam das alles, sehr sehr seltsam!“

Ein Fallstrick kommt selten allein

„Mist, elendiglicher! Glump, vareggts!“ Ilse war dezent angefressen. Der Wasserhahn in ihrem schicken Badezimmer spritzte in alle Richtungen, nur nicht dahin, wohin er sollte. Entschlossen griff sie sich die Rohrzange und ein altes Handtuch. „Dir werd ich helfen, das wäre doch gelacht.“

Keine fünf Minuten später tat der Hahn genau das, was von ihm erwartet wurde, und Ilse war höchst zufrieden mit sich. „Geht doch! Handwerker, als ob ich das nötig hatte.“

Ein Blick auf ihre Armbanduhr zeigte, dass sie sich besser beeilen sollte. Das wöchentliche Doppel stand erneut an und sie war nicht einmal annähernd fertig. Eilig packte sie ihre Tasche, zog sich um, denn klatschnass wollte sie dann doch nicht im Club auftauchen, und brühte sich noch schnell einen Espresso mit der coolen Kaffeemaschine, die ihr Neffe Phillip zum Geburtstag geschenkt hatte. Jedes Mal, wenn sie jetzt Kaffee trank, dachte sie an ihn. Ihr Lieblingsneffe, Sohn von Bruder Bernhard, jener Bernhard, der unbedingt meinte, nach Peru auswandern zu müssen, und von dem man nie wieder etwas gehört hatte, lag ihr am Herzen. In Ermangelung eigener Kinder liebte sie den waghalsigen Sonderermittler bei der Wiener Polizei wie den Sohn, den sie nie hatte. Es war dringend an der Zeit, ihn zu sehen.

Die kleine Tasse landete in der Spülmaschine und Ilse verließ eiligst ihr Haus. Pünktlichkeit war eine Tugend und sie hasste es, zu spät zu kommen.

„Liebe Frau von Karburg, ich muss schon sagen, ich bin stolz auf Sie.“ Marcus nickte zusätzlich zu diesen Worten, als ob er sie nochmals bekräftigen wollte. „Die Doppelstunde zum Training gestern haben Sie mit Bravour absolviert. Sie haben es geschafft, mich ordentlich herauszufordern. Respekt!“

Ilse strahlte vor lauter Freude. „Danke, das hab ich gebraucht. Nachdem derzeit in meinem Haus alle möglichen Installationen spinnen, klappt es wenigstens beim Tennis. Man wird ja so dankbar.“

Marcus schmunzelte, legte ihr eine Hand auf den Rücken und flüsterte: „Sie sind und bleiben ein sportliches Naturtalent. Das bleibt unter uns.“

„Ich bitte darum.“ Sie drehte sich suchend um und ihr Blick fiel auf einen der Kellner des Clubs, der soeben auf der sonnenbeschienenen Terrasse, die von einer champagnerfarbenen Markise beschattet wurde, zwei Damen ihren Lunch servierte. „Was ist eigentlich mit Anita und Beate los? Die reden kaum mehr mit uns. Habe ich irgendwas nicht mitbekommen?“

Marcus verneinte mit traurigem Blick. „Das ist etwas Internes, die Damen wollten, so wie Sie und Frau Berger, Einzelstunden am Vormittag. Allerdings an einem Mittwoch. Wie Sie wissen, geht das bei mir nicht. Der Chef meinte, ich müsste meine Prioritäten neu überdenken und die Stunden irgendwie einbauen.“

„Aber das sind unsere Stunden und nachher ist deine Physio dran, oder?“

„Eben, und jetzt sind die Damen verärgert, da – ich zitiere – hier offenbar mit zweierlei Maß gemessen wird.“

„Oh, mein Gott, jetzt auch noch Zickenalarm.“ Ilse schüttelte sich. „Aber jetzt hol ich mir einen Saft und dann kommen sicher auch Marga und Tilde, dann können wir unser Doppel spielen. Darauf freu ich mich schon die ganze Woche.“

Während sie langsam zum Clubhaus schlenderte, sah sie aus dem Augenwinkel, wie sich die Pforte zum Haupthaus öffnete und Lucas Meric herauseilte, zum Parkplatz lief und kurz darauf schnellen Schrittes mit einer Mappe unter dem Arm zurückkam. Da schien noch immer etwas zu köcheln. Seltsam, aber das sollte nicht ihr Problem sein.

Eine gute Viertelstunde später schlugen sie auf dem Platz ein paar Bälle zum Aufwärmen. Tilde schwang unternehmungslustig ihren Schläger. „Mädels, heute bin ich richtig fit. Geht schon mal in Deckung.“

Marcus warf Ilse einen verschwörerischen Blick zu, die lächelte ihn fröhlich an. „Na dann, gehen wir halt in Deckung.“

Marga schlug als Erste auf und da sie mit Tilde mit der Sonne spielte, schonten die beiden Marcus und Ilse kein Bisschen. Gerade als Ilse nach einem langen Ball hechtete und ihn auch erwischte, vernahm man, wie auf dem Parkplatz ein Motor angelassen wurde und einen Sekundenbruchteil später knirschte der Kies der Einfahrt unter einem viel zu schnell fahrenden Wagen. Mit quietschenden Reifen verließ das Fahrzeug, das sie vom Platz aus nicht zu sehen vermochten, das Gelände.

„Ja, sag einmal, muss sowas denn sein? Seit wann haben wir solche Rowdies bei uns im Club?“ Marga war sichtlich empört.

Ilse schüttelte den Kopf. „Ich geb dir vollkommen recht, dabei kostet gutes Benehmen ja wirklich nicht extra.“

Sie hing noch ihren Gedanken nach, als Tilde schwungvoll ausholte, den Ball zwar traf, ihn aber mit Effet über den hohen Zaun schlug und alle ihm staunend nachblickten.

„Respekt, wenn wir Baseball spielen würden, wäre das ein solider Home-Run.“ Marcus kratzte sich lachend am Kinn. „Und wer holt den jetzt zurück? Langsam gehen uns die Bälle aus. Meine Damen, was sind wir heute ambitioniert.“

Ilse seufzte, sie sah es schon kommen, wer loslaufen würde. „Entspannt euch alle erst einmal, ich mach das schon.“ Sie schenkte Marcus ein bezauberndes Lächeln. „Ich bin ja hier die Jüngste.“

Während sie hinter sich das amüsierte Lachen der anderen vernahm, machte sie sich auf den Weg. Es war nicht das erste Mal, dass sie auf dem Gelände unter Büsche krabbelte. Zwei Bälle hatte sie schon und verstaute sie in der Rocktasche, als sie unter zwei Laubbäumen und neben einem Haselnussstrauch etwas Gelbes hervorblitzen sah. „Ah, da ist ja noch einer.“ Zielstrebig ging sie auf den hellen Farbklecks zu. Unter den Bäumen war es, nachdem sie aus dem hellen Sonnenlicht in den Schatten trat, regelrecht dunkel und unter dem Busch sowieso.

„Ach, was soll schon passieren…“ Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gedacht, als ihr rechter Fuß auf einen Widerstand traf, sie das Gleichgewicht verlor und strauchelte. Erschrocken streckte sie beide Arme nach vorn, um den Sturz aufzufangen, was ihr leidlich gelang. Sie landete auf weichem Boden und atmete erleichtert auf. „Puh, das ist gerade nochmal gut gegangen.“

Inzwischen hatten sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt und sie drehte sich leicht, um sich aufzurappeln. Dabei kam sie mit der Hand an etwas, das sich anfühlte wie Stoff. Komisch, das war ganz sicher kein Tennisball. Sie hob den Kopf und sah nach rechts …
Direkt in die weit aufgerissenen, toten Augen von Heinz Felsner.

„Ja, er ist wirklich tot. Sie lagen schon richtig.“ Marcus erhob sich vom Boden und klopfte sich Erde von den Knien.

Ilse nickte stoisch. „Klar lag ich richtig und zwar direkt neben ihm. Ich weiß, wann jemand tot ist, glaub mir.“

Tilde presste sich die Hand vor den Mund und ließ ein leicht ersticktes Geräusch vernehmen. „Gütiger Himmel! Tot, wie kann das denn sein? Ich habe ihn vor dem Umkleiden noch gesehen. Er war zwar blass, aber lebendig. Ilse, wie kannst du das so gelassen wegstecken?“

„So ganz gelassen seh ich es auch nicht. Aber sowas passiert eben. Dumm halt, dass ausgerechnet ich über ihn stolpern musste.“

Marga zuckte die Schultern. „Besser du als ich. Hätte ich in seine Augen sehen müssen, lägen hier jetzt zwei Tote, das sag ich euch.“

Marcus hatte inzwischen sein Handy gezückt und telefonierte bereits mit dem Rettungsdienst und der Polizei.

Ilse rümpfte die Nase. „Rettung? Da ist nichts mehr zu retten, also im Ernst, tot ist tot, oder?“

„Schon, aber trotzdem brauchen wir einen Arzt, der den Tod feststellen muss. So ist das eben. Meine Damen, geht es oder soll ich Sie zur Terrasse begleiten, während ich im Club Bescheid gebe?“

Ilse wehrte dankend ab. „Alles in Ordnung, ich schätze, man wird uns befragen wollen, nicht wahr? Man fällt ja nun nicht jeden Tag beim Tennisspielen über eine Leiche.“

Marcus nickte. „Korrekt. Ich bin sofort wieder bei Ihnen.“

Tilde hingegen hakte sich bei Marcus unter. „Seid mir nicht böse, ich muss mich beruhigen. Ich glaube, ich brauch was Stärkeres als Mineralwasser. Man sieht sich auf der Terrasse.“

Marga schloss sich den Beiden an und so blieb Ilse allein mit dem Toten zurück. Mochte ihr die Situation auch nicht so ganz geheuer sein, so blieb sie erstaunlich ruhig. Eingehend musterte sie das Antlitz des Clubchefs. Ja, gut, er war tot, da konnte er schlecht aussehen wie das blühende Leben, aber so weiß? Weißer als das von ihm so präferierte Weiß bei der Sportkleidung? Ilse gefiel das nicht. Neugierig umrundete sie ihn, was angesichts der Haselnusszweige nicht einfach war. Vielleicht gab es eine Tatwaffe? Oder sonst einen Hinweis, den sie finden konnte, ehe er vom Täter fortgeschafft wurde.

Sekunde! Wieso Täter? Vielleicht war Heinz ja eines natürlichen Todes gestorben? Ruhig und friedlich unter zwei Bäumen und einem Nussstrauch.

Unfug! Wie hätte sich das denn bitte zugetragen? Dann läge er wohl eher auf einem der Wege und nicht versteckt in der Nähe der Plätze.

So sehr sie auch suchte, es fand sich nichts Verdächtiges. Als sie die Sirenen eines Krankenwagens und direkt in der Folge die der Polizei vernahm, richtete sie sich stöhnend auf. Schade, sie musste zugeben, dass sie gern mit einer vernünftigen Theorie aufgewartet hätte. Nur leider war da so rein gar nichts.

„Sie haben den Toten gefunden?“ Der Blick der Kommissarin ruhte fragend auf ihr.

Das Mädel sah in Ilses Augen zu jung aus, um einen Mordfall zu lösen. Dass es Mord war, dessen war sich Ilse sicher. Nach allem, was in den vergangenen Tagen passiert war, nach allem, was sie mitbekommen hatten, war es ein Ding der Unmöglichkeit, dass Heinz einfach mal so auf dem Clubgelände dahinschied.

Im Moment war nur wichtig, dass keine Beweise vernichtet wurden, das wusste sie von Phillip. Hoffentlich wusste die Kommissarin das auch.

„Ja, ich hab ihn gefunden. Ich bin quasi über ihn gestolpert.“

Der Blick der jungen Frau war sehr ernst und geschäftsmäßig. „Darf ich fragen, warum Sie hier im Unterholz herumkriechen?“

Ilse konnte es sich nicht verkneifen. „Frau Kommissarin, das hier ist ein Tennisclub. Da sucht man ab und an seine Bälle wieder zusammen, sonst wird’s irgendwann teuer, Sie verstehen?“

Über das Gesicht der Kommissarin huschte zwar kurz ein dunkler Schatten, aber sie blieb freundlich. „Wann haben Sie Herrn Felsner das letzte Mal gesehen?“ Als ahnte sie, dass man bei Ilse mit Worten vorsichtig sein musste, setzte sie hinzu: „… ich meine lebendig.“

Ilse berichtete ihr von dem aufgeregten Heinz, den sie am Vormittag zu Gesicht bekommen hatte, und setzte gleich noch eine Schippe drauf. „Wir müssen auf die Beweise aufpassen. Damit wir da nichts kaputt machen. Ich hab nichts angefasst.“

Die Beamtin, die sich als Frau Bauer vorgestellt hatte, schüttelte mit nachsichtiger Miene den Kopf. „Keine vorschnellen Schlüsse bitte. Ich kann mir, wenn ich ihn mir so ansehe, durchaus vorstellen, dass er an einem Herzinfarkt gestorben ist.“ Sie wandte sich an den Mediziner, der den Toten auf die Seite gedreht hatte und ihn eingehend untersuchte. „Oder können wir einen Hinweis auf Gewaltanwendung finden?“

Der Mann verneinte. „Ich habe keine Anzeichen für ein Gewaltverbrechen. Kein Blut, keine Hämatome und nur eine leichte Schwellung am Hinterkopf, die von dem Sturz herrühren dürfte, als er das Bewusstsein verloren hat. Mehr kann ich erst nach einer Obduktion sagen, aber bislang stimme ich Ihnen mit dem Herzinfarkt zu. Das erscheint eine logische Erklärung.“

Logische Erklärung! Ilse war höchst ungehalten. „Stellt euch vor, das Mädel glaubt wirklich, er wäre an einem Infarkt gestorben. Ich glaub es nicht!“

Tilde setzte, mit noch immer leicht zitternder Hand, ihr Glas auf dem Tisch ab. „Ilse, das ist aber durchaus möglich. Er hatte in den letzten Tagen so viel Ärger am Hals, das kann schon einmal aufs Herz gehen. Vergiss bitte nicht, dass ich da nicht so ganz unbeschlagen bin. Mein Mann war immerhin Herzchirurg und zwar ein guter, wenn ich das anmerken darf.“

„Schon, ja, aber wenn er merkt, dass es ihm nicht gut geht, dann rennt er nicht hinaus in die Anlage, sondern ruft einen Arzt oder legt sich auf die Couch in seinem Büro oder was auch immer. Aber er legt sich nicht unter die Bäume, Herrschaftszeiten, das ist vollkommen unlogisch. Ich hab ihn zwar nicht gemocht, aber er war nicht blöd. Und das wäre eine sehr dumme Aktion gewesen.“

Marga nickte zustimmend. „Stimmt, dumm war Heinz wirklich nicht. Aber um die Kommunikation mit Frau Kommissarin Bauer etwas freundlicher zu gestalten, solltest du sie vielleicht nicht andauernd ‚das Mädel‘ nennen. Wenn sie den Ausdruck mal hört, dann war es das.“

Ilse schnaubte ärgerlich auf, was annähernd wie ein genervtes Pony klang. „Ja, was ist sie denn sonst? Ich bin mir sicher, die ist zu jung für einen Mordfall.“ Sie hielt inne, da Kamon soeben aus der Küche zurückkam, wo die Polizei ihre Befragung durchführte. So unauffällig wie möglich winkte sie ihm zu.

Der junge Kellner kam sofort an ihren Tisch. „Bitte verzeihen Sie, meine Damen, hat niemand Sie bedient? Das tut mir sehr leid, was kann ich Ihnen denn Gutes tun?“

Wie immer genoss Ilse seufzend den sanften Singsang ihres Lieblingskellners. „Nein, nein, alles in Ordnung soweit.“ Sie blickte sich vorsichtig um, konnte aber die Beamtin nirgends sehen.

Nur auf dem Rasen standen noch immer Uniformierte und achteten wohl darauf, dass niemand näherkam, da der Bestatter nun den Leichnam des Clubchefs abtransportierte, nachdem er von allen Seiten fotografiert worden war.

Sie saßen an einem der letzten Tische auf der Terrasse mit freiem Blick auf das Geschehen. Ilse beugte sich zu Kamon und flüsterte ihm verschwörerisch zu. „Ich bin nur neugierig, ob es was Neues gibt. Weißt du, man fällt nicht jeden Tag über seinen toten Clubchef. Das schlaucht schon ziemlich.“

Sofort wurde der Blick des Jungen weich und mitfühlend. „Es tut mir so leid. Geht es Ihnen denn gut? Soll ich den Arzt rufen?“

„Eben nicht, mein Junge, aber ich befürchte, dass unsere Frau Kommissarin da drin das etwas zu locker sieht. Sie geht, zumindest war das vorhin noch so, von einem Herzinfarkt aus.“

Kamon hob elegant die rechte Augenbraue, was bei dem hübschen, schwarzhaarigen Halb-Thailänder sehr niedlich aussah. „Darf ich ehrlich sein, Frau von Karburg? Das glauben hier beinahe alle. Auch der Kollege der Frau Kommissarin. Wir haben uns in den letzten Tagen große Sorgen gemacht. Herr Felsner war nervös, unkonzentriert, er hat Dinge vergessen und er war auch … wie war das Wort … er wurde schnell wütend.“

„Aufbrausend?“, kam Ilse ihm zu Hilfe. „Ja, er war wirklich seltsam. Er hat auch seltsame Dinge getan. Und er war genauso seltsam zu einigen Leuten, die er seit Ewigkeiten kannte.“

Kamon druckste ein wenig herum, während er scheinbar angestrengt mit einem Trockentuch die Tischkante abwischte. „Sie meinen den netten Doktor? Ja, das haben wir alle hier mitbekommen. Er war sehr ärgerlich mit ihm.“

Ilse nickte nachdenklich. „Ist mir nicht entgangen. Aber seit wann bekommt man von ein bisschen Aufregung einen tödlichen Herzinfarkt?“

„Es war ja nicht nur Doktor Pohl. Es waren, so wie es sich darstellt, mehrere Faktoren“, mischte sich Tilde mit ruhiger Stimme ein. „Wenn alles zusammenkommt, dann kann das schon in einem Infarkt enden.“

Kamon zog eine vielsagende Grimasse. „Es war auch Herr Meric. Erst gestern sagte er zu Frau Marlene, dass sie den Notar zum Teufel schicken soll. Das hat sie aber nicht getan, sie hat ihn heute zu ihm ins Büro gelassen, als er kam.“

Sofort war Ilse in Habachtstellung. „Sekunde, der war bei ihm drin, heute? Dann hab ich richtig gesehen und ich hab auch richtig gesehen und gehört, wie er mit seinem dicken Schlitten vom Parkplatz gerast ist. Ich sag euch, der war stinkwütend. Und nachdem ich letztens das Gespräch der beiden – rein zufällig – mitgehört habe, denke ich, dass die Zwei über etwas Bestimmtes sehr geteilter Meinung waren. Nein … ehrlich, ich glaub einfach nicht an einen Herzinfarkt, basta.“

Noch ehe sie sich weitere Gedanken machen konnte, kam die Kommissarin mit zwei Beamten und dem Trainer Marcus auf ihren Tisch zugesteuert. „Die Damen, wir haben fast alle hier im Club befragt. Ich werde in die Gerichtsmedizin fahren und nachfragen, ob es schon etwas Neues gibt. Ich würde Sie alle bitten, sich morgen am Vormittag hier im Clubhaus zur Verfügung zu halten. Es tut mir leid, dass ich Ihnen diese Umstände machen muss, aber es ist gewiss auch in Ihrem Interesse, dass dieser Todesfall rasch und problemlos aufgeklärt wird.“

„Natürlich werden wir hier sein. So ein Mord muss schließlich mit der nötigen Sorgfalt behandelt werden.“ Ilse lächelte die junge Frau entwaffnend an.

Die blickte sie eine kleine Weile schweigend an, ehe sie zuerst seufzte, um dann zu antworten. „Gnädige Frau, wir haben noch immer keinerlei Indizien dafür gefunden, dass es sich um einen Mord handeln könnte. Auch die Aussagen der Angestellten deuten nicht darauf hin. Darum würde ich Sie herzlich bitten, bei allem Respekt, voreilige Spekulationen zu unterlassen.“ Ehe Ilse etwas darauf entgegnen konnte, verabschiedete sich Frau Bauer, drehte sich um und verschwand mit ihren beiden Begleitern in Richtung Parkplatz.

Mit großen Augen sah Ilse ihr hinterher. Sie bemerkte gerade noch so, dass sie vor lauter Erstaunen vergessen hatte, weiter zu atmen. So holte sie tief Luft und stieß diese mit leisem Pfeifen wieder aus.

Marga musterte sie mit Besorgnis im Blick. „Ilse, bist du in Ordnung?“

„Ich schon, aber … bei allem Respekt … das Mädel wohl nicht so ganz. Voreilige Spekulationen! Und das mir. Als würde ich bei irgendwas jemals spekulieren. Ich hör einfach auf mein Bauchgefühl.“ Ihr Blick fiel auf Kamon, der mittlerweile wieder hinter der Bar stand und gerade zwei Longdrinkgläser mit Champagner auffüllte. „Hier muss ich noch ein bisschen recherchieren. Mein Bauch sagt mir, dass ich richtig liege.“

In Margas Stimme schwang ein sehr amüsierter Unterton mit, als sie antwortete. „Bist du sicher, dass dein Bauch dir nicht sagen will, dass du endlich wieder was Vernünftiges essen solltest? Wie wäre es mit einem anständigen Filetsteak mit Ofenkartoffel?“ Ehe Ilse auch nur den Hauch einer Chance hatte zu reagieren, setzte Marga hinzu: „Und du wirst nicht wieder nur an einem Salatblatt nagen, das werde ich zu verhindern wissen.“

Ilse konnte nicht anders. Sie betrachtete die sichtlich besorgte Freundin und lachte lauthals los. „Schon gut, schon gut! Ich hab schon lange kein ordentliches Steak mehr gegessen und Ofenkartoffel mit Käse überbacken klingt sehr gut.“

Marga lehnte sich in ihrem Sessel zurück und lächelte sie entspannt an. „Siehst du, geht doch!“